Carmen Oberst - Photochemische Malerei

Auszug aus dem Katalog CARMEN OBERST – STRASSE DER METEORITEN
4. Teil - Text von ULLA LOHMANN, Hamburg, 2014

 

Carmen Oberst lebt und begreift die Kunst als dynamischen Prozess, der so gar nicht losgelöst von persönlicher Lebensphilosophie und Lebenshaltung gesehen werden kann. Die Ergebnisse ihrer Arbeit zeigen sich so vielfältig wie die Aktivitäten. Da sind die Photographie, die Photochemische Malerei, aber auch Filme, Texte, Inszenierungen, Installationen, Performances und noch die Buchprojekte. Welche formale Umsetzung sie jedoch immer wählt, primär geht es der „Gedankensammlerin“ um die „Artikulation mit Bildern. Inhalte dürfen nicht durch Äußerlichkeiten verloren gehen“. Die Kunst darf „nichts erzwingen“, sie sollte „das Unbewusste fördern“ und“ das „Unerwartete als Kostbarkeit begreifen“, erzählt sie einmal bei einem Atelierbesuch.

 

Am Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit stand natürlich - wie sollte es Mitte der vergangenen 70iger Jahre auch anders sein - die analoge Photographie. Und da Carmen Oberst bald nach weiteren Wegen der Entfaltung ihrer schöpferisch Neigungen und der Inspiration gesucht hat, ließ sie sich nicht auf eine photographische Methodik oder eine photokünstlerische Schule festlegen. Sie ist ausgebrochen aus der Rezeption, um der bloßen Draufsicht, den gelegentlich zu glatt empfundenen Oberflächen der Künste zu entkommen. Die Photographie transformierte sie in dieser Zeit von der klassischen Schwarzweißtechnik zur „Photochemischen Malerei“ und machte damit die eigentliche Methode der Vervielfältigung zur Basis von Unikaten.

 

Die eigene Person – eher wohl zunächst aus pragmatischen Gründen - hat sie zum Modell und Forschungsobjekt gemacht. Und so sind zahlreiche Selbstbildnisse, mimische Studien und Selbst-Inszenierungen von enormer Ausdruckskraft und großer inhaltlicher Bedeutung entstanden. Die Bilder sind reich an Ebenen, Strukturen, Schattierungen und Nuancen. Dazu bearbeitet die Künstlerin unter eigener Lichtregie das Photopapier mit zeichnerischen, malerischen und textlichen Eingriffen und überlagert den Entwicklungsvorgang mit collagierenden Fremdmaterialien aus ihrem eigenen Werkbestand. Sie beeinflusst intuitiv die chemischen Prozesse der Bilderzeugung. Das Resultat: Nichts bleibt was und wie es war. Aber genau das ist das Ziel. Es galt und gilt ihr hinter die Dinge zu schauen, Brüche und Untiefen zu erkunden, die gelegentlich mehr Ungewissheiten aufdecken als Antworten erzeugen. Dies bedeutet zwar eine fortdauernde Verunsicherung, der beachtliche Gewinn aber liegt in der produktiven Suche und einer unbestreit- baren Selbstvergewisserung.

 

 

5. Teil / Fortsetzung folgt

Carmen Oberst - Werkgruppe Echo der Fragen / Photochemische Malerei und Texte 

 

 

 

Auszug aus dem Wörterbuch

 

CARMEN OBERST - PHOTOCHEMISCHE MALEREI

 

1989 – 2004 Die von Carmen Oberst entwickelte Bildsprache zeigt malerische Aspekte im Mantel der analogen, klassischen Photographie. Das Spielen mit chemischen und physikalischen Mitteln wird Experimentierfeld und

führt unter Materialverschwendung zu einmaligen Ergebnissen, da durch die ständigen Vermischungen von

Fixierer, Entwickler, Bleicher und Schwefeltoner keine kalkulierbaren chemischen Prozesse stattfinden können.

Die grafische Grundform erfährt durch vielfältige fotoalchemistische Eingriffe Formauflösungen

bis hinzur Dunkelheit und erhält eine Aura.

 

Die Arbeit ist angetrieben von der Idee, dass sich das aus dem Barytpapier herausschäumende Silber von selbst materialisiert.

 

2014 „ICH - Fotografische Selbstinszenierungen von Frauen“,

Kurator: Denis Brudna - kunst:raum sylt quelle., Kantum

Fotografie: Angela Köllisch

2014 Carmen Oberst im Atelier - Fotografie Andreas Bock

1997 Carmen Oberst - "Photochemische Malerei“,

„Engelsjagden: Besuch bei Alice hinter den Spiegeln“ Text: Hajo Schiff,

„Ficationen des Unvermuteten“, Text: Enno Kaufhold

„Hinterlassenschaft von Spuren“, Text: Gerda Elmerhaus