Carmen Oberst - Anfang / Kindheit / Prägung

 

 

 

Fotografien erstellt von Werner Oberst / Modelle Carmen Oberst & Mathilde Oberst, Karlsruhe, 50er Jahre

Auszug aus dem Katalog CARMEN OBERST – STRASSE DER METEORITEN


 
1. Teil 

Text von ULLA LOHMANN, Hamburg, 2014


 

- Jeder Mensch ist ein Kunstwerk - Ulla Lohmann

Das Lebenswerk eines Menschen in wenigen Sätzen zu beschreiben ist eine nahezu unlösbare Herausforderung, vor allem dann, wenn es sich um eine kreative Person mit unerschöpflichem Ideenreichtum und unermüdlichen Engagement handelt. Wie ist es also möglich ein solches Künstlerleben zu erfassen, in Worte zu fassen? Was für eine Persönlichkeit ist Carmen Oberst? Allein schon der Versuch biografisch vorgehen zu wollen muss an der Komplexität und Fülle der Werke und Begebenheiten scheitern. Und so bleibt die Suche nach dem Charakteristischen, dem Grundsätzlichen, das Aufspüren von kennzeichnenden Wesenszügen und von repräsentativem Geschehen.

 

Jeder Mensch ist ein Kunstwerk, das sich in fortwährender Entwicklung beständig selbst erschafft, sich täglich neu definiert und sich unentwegt neu erfindet. Die Beuyssche Vorstellung, jeder Mensch sei ein Künstler, erhält in diesem Gedanken seine logisch konsequente Fortsetzung. Der Künstler-Mensch gestaltet sein Werk und dazu gehört auch sein Selbst. In diesem zutiefst innovativen, dialektischen Prozess stehen beide in lebenslangem Austausch. Mehr oder weniger intensiv brauchen und beeinflussen sie einander. Und so ist dies auch mehr oder weniger äußerlich sichtbar, für die Umgebung wahrnehmbar. Carmen Oberst verkörpert mit ihrer Haltung eine ausgeprägte Künstler-Kunstwerk- Persönlichkeit. Die vielfältigen Facetten ihrer Ausdrucksformen sind jeweils schöpferische Bedingung füreinander und vom Alltag kaum zu trennen. Hin und wieder drängt sich da der Gedanke vom Gesamtkunstwerk auf.

 

Schon in ihrer Jugend, ja in ihrer Kindheit hat Carmen Oberst den Fotoapparat entdeckt und früh bemerkt, dass dieser nicht nur Werkzeug ist, sondern auch ein brauchbares Medium abgibt sich auszudrücken. Im Focus hat sie seitdem die Menschen, sich selbst und die anderen. Ohne Kontakt zu ihnen und ohne Kommunikation ist ihr künstlerisches Leben nicht denkbar. Die Auseinandersetzung mit Kollegen und Kunstinteressierten ist für sie unabdingbar und hat inzwischen die verschiedensten Ausprägungen angenommen. Der Weg dorthin führte zunächst über das Selbstbildnis. Stets aufs Neue hat sie ihr Portrait, das Selbst erforscht und in Frage gestellt, beinahe so, als ob darin die Notwendigkeit einer Selbstvergewisserung liegt, eine Voraussetzung sich anderen Menschen zuzuwenden und die künstlerischen Ambitionen mit ihnen zu teilen.

 

 

 

Fortsetzung folgt  

Werkgruppe Carmen Oberst - analoge schwarz-weiss-Photographie / Selbstbildnisse

 

 

 

Presse-Fotografie Martin Heintzen, Ausstellung im Schloss Bruchsal, 2012

 

Carmen Oberst, Installation "Auf der Vergangenheit ausruhen"

 

 

 

NAMEN SIND WIE SCHALL UND RAUM - Ein Kunstprojekt von Carmen Oberst

 

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht

bei der Bruchsaler Internetzeitung www.bruchsal.org

Herausgegeben von Dr. Jochen Wolf, Christian Kretz und Rolf Schmitt

 

Das Interview führte Rolf Schmitt, Bruchsal

 

"Ich wollte meiner Mutter ein kleines Denkmal setzen und ihr eine Freude bereiten."

 

Dienstag, 20. Dezember 2011 - 20:50

Immer wieder erlebt man Überraschendes im Internet. So bin ich bei youtube zufälligerweise auf einen Kurzfilm gestoßen mit dem Titel „Mathildes Reise“. Beim Anschauen des Filmes stutzte ich plötzlich. War das nicht das Glockenspiel des Bruchsaler Amtsgerichtes? Waren da nicht Aufnahmen des Bruchsaler Schlosses und aus dem Musikautomatenmuseum zu sehen? Wurden nicht Bilder des zerstörten Bruchsaler Schloss an der Kamera vorbei durch das Musikautomatenmuseum getragen?

 

Und dieses Eckhaus auf einem der Schilder – wenn das nicht der im 2. Weltkrieg zerstörte Bahnschlitten war, ein schmales Haus, das in einer Spitze auslief. Der „Bahnschlitten“ war im Oppenloch gelegen, einem Straßenteil zwischen Alte Straße und Stadtgrabenstraße, heute läge dies gegenüber dem Hinterhaus der Firma Foos (Rückseite Kaiserstraße 76) an der John-Bopp-Straße.

Ich schaute den Film zweimal an. Er verunsicherte mich etwas, so dass ich per E-Mail Kontakt zur Filmautorin und Photokünstlerin Carmen Oberst aus Hamburg aufnahm.

 

Nach kurzer Zeit erhielt ich eine sympathische E-Mail von Carmen Oberst. Wie sie mir mitteilte, stammt sie aus Bruchsal. Wenn sie auch bereits im Alter von einem Jahr mit ihren Eltern nach Karlsruhe zog, hatte sie über ihre Eltern immer wieder Kontakt nach Bruchsal.

Ich stellte Carmen Oberst ein paar Fragen, die sie mir gerne beantwortete. Die Leser von bruchsal.org möchte ich gerne an dem Gespräch teilhaben lassen.

 

 

bruchsal.org: Carmen Oberst, zunächst herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Sie sind eine Bruchsalerin?

Carmen Oberst: Ich bin im Bruchsaler Krankenhaus geboren, zog jedoch mit meinen Eltern, als ich ein Jahr alt war, nach Karlsruhe. Dort bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen. 1979 bin ich dann nach Hamburg gezogen, da meine künstlerischen Ambitionen in einer Metropole wie Hamburg mehr Aussicht auf Weiterentwicklung hatten.

 

 

Auch meine Mutter, Mathilde Oberst, geborene Arnold, ist eine „Bruslerin“. Sie ist in Bruchsal geboren und aufgewachsen. Ebenso mein Großvater, den ich leider nie kennen gelernt habe. Er war einige Jahre Gärtner des Bruchsaler Schlossgartens. Dies ist nicht ganz unwichtig für das Projekt, das Sie bei youtube kennen lernten, denn ich habe Wege meiner Ahnen durchwandert. Mein Vater Werner Oberst ist im nahe gelegenen Unteröwisheim / Kraichtal aufgewachsen.

bruchsal.org: Sie leben derzeit in Hamburg und sind dort, wie ich Ihrer Homepage entnehmen durfte, als Photokünstlerin, Kuratorin und Dozentin tätig. Können Sie mir ein wenig zu Ihrer Kunst sagen?

Carmen Oberst: 1980, als Photographie noch als kreatives Handwerk galt, deren Vorgehensweisen fest verankert waren und das Ringen nach Anerkennung im Bereich der Kunst erst begann, habe ich mit den Mitteln der Photolabortechnik die Photochemische Malerei entwickelt und wurde fortan auf diesem Gebiet Mentorin und Vorbild für Menschen, die eine andere Sicht und Umgangsweise mit der Photographie suchten. Anlässlich einer Ausstellung im Forum Fotografie – Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg und Galerie Condé, Goethe-Institut Paris ist der Katalog „Photochemische Malerei“ erschienen, in dem meine Künstlerische Photographie näher beschrieben wird.

Vielfältige Methoden aus den Anfängen der Photographie finden sich in meinen Bildern wieder. Inszenierungen, Photochemische Manipulationen, Mehrfachbelichtungen, Solarisationen und andere geheimnisvoll wirkende Beeinflussungen verleihen den Bildern eine besondere Faszination.

2004, als durch die voranschreitende Digitalisierung analoge Negativ-, Dia- und Bildarchive das Überdenken des eigenen Archivs auf den Plan rief, begann ich mein Negativ-Archiv neu zu überarbeiten und zu zerschneiden.

 

Eine im wahrsten Sinne des Wortes einschneidende Herausforderung liegt im Prozess der Formenumwandlung, bedingt durch die Bereitschaft, Vergangenheit beweisende Dokumente loszulassen, unwiederbringlich zu verwandeln und damit den daraus entstammenden Formen einen anderen Sinn und sich selbst eine neue Perspektive zu geben.

Außerdem hat mein Interesse mich immer wieder dazu gebracht, Ausstellungen auf die Beine stellen zu wollen und vor allem gern mit anderen Menschen zusammen zu wirken und Netzwerke herstellen zu wollen. Gleichzeitig fiel auf, dass ich über ein Organisationstalent verfüge, das meinen Projekten auf vielen Ebenen zuträglich ist.

bruchsal.org: Sie waren schon öfters als „Experimentelle Filmemacherin“ tätig. Ihre anderen Filme sind recht kurz, zwei bis drei Minuten. Dies ist der erste längere Film. Was war ihre Intention für diesen Film?

 

Carmen Oberst: Meine Mutter ist mittlerweile 82 Jahre alt. (Am 1. Dezember 2017 feierte sie ihren 90. Geburtstag.)  Ich wollte mit diesem Film meiner Mutter ein kleines Denkmal setzen und ihr eine Freude bereiten. Mit meinen Aktivitäten und auch meinen Filmen durchwandere ich noch einmal gelebte Ereignisse und versuche auf spielerische Weise dem normalen Leben etwas Phantastisches anzueignen. Vor allem wünsche ich mir über meine persönlichen Belange hinaus, Vorbild für andere Menschen zu sein, mit alltäglichen Dingen, Ereignissen oder Schicksalsschlägen nachträglich humorvoll und spielerisch umzugehen, um dadurch auch für andere Menschen etwas Interessantes und Märchenhaftes auf den Weg zu hinterlassen.

Beim Bombenangriff am 1. März 1945 war meine Mutter bei Siemens tätig. Als die Bomben fielen rannte sie über die Bahngleise und durch den Schlossgarten zum Stadtgarten davon. Wie sie mir erzählte, fielen um sie herum Brand- und Stabbomben wie ausgestreute Streichholzschachteln herunter. Die ganze Stadt wurde in Schutt und Asche versetzt, sie hat dies glücklicherweise unbeschadet überstanden. Das Schloss wurde bei dem Luftangriff zerstört. Daher habe ich das Foto des zerstörten Schlosses in meinem Film als „Wander-Kulisse“ dazu gefügt.

bruchsal.org: Und warum wird auf einem der Schilder der „Wander-Kulisse“ ein Photo des „Bahnschlittens“ gezeigt?

 

Carmen Oberst: Die Bewandtnis ist, dass eine Freundin meiner Mutter dort im Oppenloch wohnte und die Architektur auffällig und verwunschen aussah.

bruchsal.org: Produktion, Videoschnitt und Musik sind von Wittwulf Y Malik. Können Sie uns etwas zu Herrn Malik erzählen?

Carmen Oberst: Wittwulf Y Malik hat meine Filme musikalisch bearbeitet. Er studierte Musik an den Hochschulen in Hamburg und Detmold und ist seitdem tätig als Komponist, Violoncellist, bildender und Performance-Künstler. Mehr über ihn können Sie auf seiner Homepage www.wittwulf-y-malik.com erfahren.

bruchsal.org: Werden wir Sie wieder einmal in Bruchsal sehen?

Carmen Oberst: Ja, die Planungen hierzu laufen auf Hochtouren. Ich bin gerade dabei Menschen aus Hamburg und Norddeutschland dazu zu bewegen, einmal eine Reise nach Baden-Württemberg und zum Schloss Bruchsal zu tun. „Mathildes Reise“ ist mit dem Kurzfilm noch nicht zu Ende. Nächstes Jahr, ab 1. Juni 2012, findet im Bruchsaler Schloss die Ausstellung „Wo die Prinzessin schläft? Eine Retrospektive.“ statt, eine Ausstellung mit 15 Künstlerinnen und Künstlern in Zusammenarbeit mit Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg. Daneben wird die 16. PHOTOKUNST SOMMERAKADEMIE HAMBURG 2012 erstmals in Bruchsal durchgeführt. Im Rahmen dieser Sommerakademie können Interessierte einwöchige Kurse in künstlerischer Photographie und experimentellem Zeichnen belegen. Aber lassen Sie sich überraschen.

bruchsal.org: Vielen Dank für das nette Gespräch. Ich bin gespannt auf die Ausstellung im Bruchsaler Schloss.

 

© Rolf Schmitt