Udo Beck - Veröffentlichungen

 

 

Auszug aus Katalog

 

UDO BECK - experiment, 2021 

 

 www.udobeck.net

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Udo Beck - Experiment & Fotografie

Eine Ausstellung im Turm der Sinne, Nürnberg 2014

 

 

 

Teenager fotografieren sich mit dem Handy im Bus auf dem Weg zur Schule, Touristen richten die Objektive ihrer Smartphones auf den Teller mit bayerischer Hausmannskost und beamen die Bilder übers Internet zu ihren Freunden nach Tokio. Noch nie wurde so viel fotografiert und im Internet dokumentiert wie in der Gegenwart. Was nicht in den Akten ist, ist nicht in der Welt, hieß es in der römischen Antike. Heute ist man versucht zu sagen: Was nicht fotografiert wurde, gibt es nicht.

 

Nur: Was ist das eigentlich, was wir fotografieren? Es ist meist weniger als die Welt die wir wahrnehmen, ein flaches Abbild, ohne den Duft, ohne die Geräusche und ohne die Gefühle, die jemand hatte, als er auf den Auslöser drückte. Manchmal ist das Bild aber auch mehr. Manchmal öffnet der Fotograf wie ein Zauberer die Pforten der Wahrnehmung und zeigt uns eine Welt, die wir nicht kennen, weil sie sich unseren Sinnen entzieht.

 

Udo Beck ist so ein Magier, auch wenn er den Begriff vermutlich ablehnen würde. Dazu ist seine Art, die Welt zu fotografieren, zu stark von der Wissenschaft geprägt. Von der Neugier, Antwort auf Fragen wie diese zu finden: Nehmen Insekten die Welt so wahr, wie sie durch seine hundertäugige Lochkamera aufgezeichnet wird? Man weiß es nicht. Kein Mensch kann in die Haut (oder den Chitinpanzer) einer anderen Spezies schlüpfen und die Welt mit deren Sinnesorganen erleben. Aber man kann überlegen, wie es für uns aussähe, wenn wir Insektenaugen hätten. Udo Beck erforscht diese Zusammenhänge mit Lochkameras, die mit mehr als 100 Löchern multiple Bilder erzeugen Ist das noch Wissen-schaft? Oder schon Kunst? Udo Beck sind solche Unterscheidungen egal. Er ist ein Seiltänzer, der sich seinen Weg zwischen diesen Kate-gorien bahnt, den Kopf mal zur einen Seite neigend, mal zur anderen.

 

Wie fließt Ketchup, wie Zahnpasta? Viskoelastisch nennt die Wissen-schaft solche Flüssigkeiten. Beck interessiert sich für ihre sinnlichen Qualitäten. Für das, was bleibt, wenn man die Alternative fest oder flüssig als Zerrbild eines Begriffszaubers entlarvt hat und sich jenseits einer Exklusionsmetaphysik, die nur Schwarz oder Weiß kennt,

auf das schillernde Grau einer Welt einlässt, die in Bewegung ist, die zwischen Zuständen oszilliert und nicht der Ja/Nein-Logik von Computerprogrammen gehorcht.

 

Die Fotografie ist anders als der Film zur Stasis verdammt. Man kann das auch positiv sehen. Henri Cartier-Bressons Suche nach dem ent-scheidenden Augenblick verwandelt den Nachteil in einen Vorzug; weil er nicht die Entwicklung einer Szene zeigen kann, beschränkt sich der Fotograf auf die Darstellung des signifikanten Moments. Udo Beck ver-folgt eine andere Strategie. Seine Motive sind Moleküle, nicht Menschen. Er zeigt in seinen Chemigrammen die Wirkung von Flüssigkeiten auf das Fotopapier. Momentaufnahmen auf der Ebene des Mikrokosmos, die an Erscheinungen des Makrokosmos erinnern. Es ist, als würde die alte, besonders von Renaissance-Philosophen wie Paracelsus pointierte Analogie zwischen dem ganz Kleinen und dem ganz Großen durch den technischen Vorgang der Belichtung des Fotopapiers beglaubigt.

 

Sicher können wir uns dessen aber nie sein. Und das ist vielleicht das Erstaunlichste an der Fotografie in unserer Gegenwart, wenn wir uns an ihre Geschichte erinnern und daran, dass sie lange als Dokumentation dessen, was ist, gegolten hat und zum Beispiel vor Gericht auch heute immer noch so behandelt wird. Udo Becks experimentelle Fotografie bewegt sich abseits des Realismusproblems. Sie erschließt uns die Schönheit einer Welt, die, paradox formuliert, nicht von dieser Welt zu sein scheint.

 

 

 

Rainer Unruh, Hamburg Dezember 2013